„nur meer“ – über Konkretheit und Transzendenz in der Malerei von Skadi Engeln

 

“Dieser unendliche Raum, dessen Vordergrund man immer wieder mit etwas Gerümpel anfüllen muss, damit man seine schaurige Tiefe nicht so sieht. …Dieses grenzenlose Verlassensein in der Ewigkeit. Dieses Alleinsein.”

Max Beckmann, 1915

Eine Malerin und ihr Motiv – Bilder vom Meer, Malerei, die von der Wahrnehmung und dem Erlebnis von Wasser, Licht und Himmel inspiriert sind. Skadi Engeln hat viele Meere besucht und so nennt sie ihre Ausstellung von Arbeiten der beiden letzten Jahre, einem Gedicht von Erich Fried entlehnt, „nur meer“.

Skadi Engeln zeigt uns Meereslandschaften in der Veränderung. In ihrer Malerei erkennt man das Flüchtige und die Übergänge, die das Wetter, wie auch das Leben und das Dasein bestimmen – Wolken ziehen über dem Horizont auf, man gewinnt den Eindruck, Schauer gingen nieder oder ein Gewitter entlade sich, dann aber liegt wieder der Glanz des Sonnenlichtes über der Szene. Die Luft ist voller Wasser, voll von Feuchtigkeit und Reflektionen, so blau, so weit. Schaut man diese Bilder an, so gewahrt man die Veränderungen von Licht und Luft und Farben. Auch erkennt man einen weiten Raum, der sich bis zum Horizont dehnt, und es stellt sich die Frage, wohin er führen mag, was dahinter ist.

Skadi Engeln unterteilt ihre Bilder durch Horizontlinien. Ganz zu Beginn des Malprozesses legt sie deren Verlauf fest. Oft verläuft die Horizontlinie genau in der Mitte ihrer immer querformatigen Darstellungen, die sie auf Nessel oder Papier anlegt. Die Horizontlinie teilt und scheidet die immense Wasserfläche vom Himmel, das Flüssige von der Luft. Dann aber ist der Horizont weiter nach oben oder auch nach unten verschoben, womit sich die Wahrnehmung der Meereslandschaften verändert und wir entweder weit in den Raum, geradezu über den Horizont hinaus sehen können, oder im anderen Fall, von einem tieferen Gesichtspunkt unmittelbar auf den Meeresspiegel schauen, etwa so als stünden wir im Wasser.

Doch ist auch alles konkret an dieser Malerei, will nicht im Sinne des Realismus ein illusionistisches Abbild vortäuschen, sondern eine Form und somit auch eine Haltung benennen, die die Künstlerin im Malakt entwickelt. In der Intention ihrer Kunst stehen Fragen danach, was Farbe in uns auszulösen vermag, welche geistige Idee mit der dargestellten Leere einhergeht und welche Vorstellungen von Unendlichkeit angesichts des immensen Ozeans und der Wirkung der Natur. Solche Themen begegnen uns angesichts der Malerei von Skadi Engeln. Die Künstlerin knüpft damit bewusst an ein von der frühen Romantik entworfenes Wahrnehmungskonzept an – wie es uns etwa bei Caspar David Friedrich begegnet – sie aktualisiert dieses Konzept mit den Mitteln ihrer Malerei, ohne es aus der konkret naturalistischen Formulierung in eine rein formale Abstraktion zu entlassen. Vielmehr bleibt Skadi Engeln im Sinne der Fortschreibung des romantischen Gedankens bei den Gegenständen und ihren Wirkungen, also beim Meer und dem Himmel, damit ihre Vorstellung von Natur und Geist, von Raum und Unendlichkeit unmittelbar und konkret fassbar bleibt.

Diese Malerei entsteht aus der gewonnen Vorstellung, die Künstlerin arbeitet nicht „en plein air“ an den Stränden, vielmehr erinnert sie sich beim Malen und entwirft dabei ihr Bild von Gesehenem und Erlebtem. Und so viele Farben, so viele Töne und Facetten von Blau – dieser immateriellen Farbe, auch von Weiß und Grau, die sich mit grün und  gelb vermischen und einem Rot begegnen – ein rosa Streif am Himmel, auch Violett ist dabei. Eigentlich sind es alle Farben, selbst wenn das Blau dominiert, die wir in den Bildern erkennen – oder suchen sie uns auf und wir müssen nur warten?

Die Kompositionen dieser Serie von Meereslandschaften vermitteln Ruhe, sogar Harmonie, denn sie basieren auf dem horizontalen Prinzip., Und doch geschieht so vieles  in dieser Malerei, die Licht und Wetter manchmal sehr dramatisch zeigt – in Veränderung, im Umbruch, der immer wieder zu Neuem hinführt.  Vor allem zu der Anschauung und Erkenntnis – dies selbst in kleinsten Bildern – dass sich hinter dem in Licht und Dunst gehüllten Horizont ein noch größerer Raum auftun kann, der greifbar ist und doch ins Unbekannte und Unendliche weist. Hierin liegen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die Skadi Engelns Kunst besitzt, die sie uns vorstellt, denn ihre Malerei handelt im Inneren von einer Gedankenwelt, auf die Max Beckmann hinwies, als er formulierte: „Raum – Raum – und nochmals Raum – die unendliche Gottheit, die uns umgibt und in der wir selbst enthalten sind …“  (1)

Peter Funken

1) Max Beckmann: „Über meine Malerei“, Vortrag, gehalten in den New Burlington Galleries, London, 1938